Lukas Seper Lukas Seper

Das Jahr 2025

Mein lieber Sohn,

2024 war ein Jahr der Hoffnungen und der Enttäuschungen. Ein Jahr, das gezeigt hat, wie tief die Gräben zwischen und in den Gesellschaften geworden sind. In vielen Ländern wurde gewählt, und meist ging es dabei um fundamentale Auseinandersetzungen - nicht nur zwischen Parteien, sondern zwischen unterschiedlichen Vorstellungen davon, wie unsere Zukunft aussehen soll.

Heute scheint vieles wieder auf Null zu stehen. Die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus hat den Optimismus, den wir im Laufe des Jahres entwickeln konnten, zunichte gemacht. Es ist ein Rückschlag für alle, die an Vernunft, Dialog und Zusammenarbeit geglaubt haben. Aber vielleicht - so seltsam es klingen mag - ist genau dies der Moment, in dem Europa endlich einen Wendepunkt erreicht.

Lange haben wir uns auf die USA verlassen, als Schutzmacht, als wirtschaftliches Vorbild, als politisches Gegengewicht zu den Autokratien dieser Welt. Doch mit Trump an der Spitze wird immer deutlicher: Diese Welt existiert nicht mehr. Wenn wir ein gutes Leben führen wollen – ein Leben in Sicherheit, Wohlstand und Freiheit –, dann müssen wir endlich selbst Verantwortung übernehmen.

Das bedeutet, dass Europa erwachsen werden muss. Dass wir nicht mehr nur reagieren, sondern unsere Zukunft aktiv gestalten. Dass wir nicht mehr nur verwalten, sondern eine Vision entwickeln, die über den nächsten Wahlzyklus hinausreicht. Ein gutes Leben entsteht nicht aus Angst, Abschottung und einfachen Lösungen. Es entsteht durch kluge Entscheidungen, durch Investitionen in die Zukunft und durch den Mut, neue Wege zu gehen.

Ich wünsche mir, dass du in einer Welt aufwächst, in der der Politik nicht nur eine Frage von Macht, sondern eine Frage des Gemeinwohls ist. Aber vielleicht war das letzte Jahr genau das Signal, das es gebraucht hat, um uns endlich wachzurütteln.

In Liebe, Papa.

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Mauern

Mein lieber Sohn,

das vergangene Jahr hat leider viele Menschen in ihrem Glauben bestärkt, dass die Antwort auf die Probleme unserer Zeit darin besteht, Mauern zu errichten. Dass wir uns durch Abschottung vor dem Unbekannten schützen können. Aber es ist wichtig zu verstehen: Mauern sperren nicht nur andere aus - sie sperren auch uns selbst ein.

Deshalb ist es meine tiefe Überzeugung, dass Fortschritt nicht durch Mauern, sondern durch Brücken entsteht. Wenn wir Verbindungen zwischen Menschen, Ideen und Möglichkeiten schaffen. Meine Erwartung oder Hoffnung für das kommende Jahr und darüber hinaus ist, dass wir uns wieder auf das konzentrieren, was uns verbindet, und nicht auf das, was uns trennt. Dass wir gemeinsam an Lösungen arbeiten und so die Welt, in der wir leben, ein bisschen besser machen.

In Liebe, Papa.

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Hass

Mein lieber Sohn,

ich möchte heute über eine unserer stärksten und gefährlichsten Emotionen sprechen: Hass. Evolutionär gesehen mag der Hass einmal einen Zweck erfüllt haben - er hat Gemeinschaften zusammengeschweißt und sie vor Bedrohungen geschützt. Aber in der heutigen Welt führt er uns oft in die Irre und verstärkt die Spaltungen, die wir eigentlich überwinden sollten.

Kinder in die Welt zu setzen ist immer auch ein egoistischer Akt. Vielleicht wirst du uns eines Tages fragen, warum wir dich in eine Zeit voller Hass, Kampf und Chaos gebracht haben. Wir leben in einer Epoche, in der wir mit existenziellen Bedrohungen konfrontiert sind, die wir selbst verursacht haben. Der Homo sapiens ist leider selten weise. Das haben wir immer wieder eindrucksvoll bewiesen.

Statt auf Liebe scheint die Menschheit oft auf Hass zu setzen. Hass bietet einfache Antworten und klare Feindbilder, während Liebe Geduld und Mut erfordert. Aber ich hoffe, dass deine Generation den Mut findet, dem Hass die Stirn zu bieten und das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren. Es ist an der Zeit, dass wir wieder lernen, in Utopien zu denken - in einer Zukunft, die auf Kooperation, Verantwortung und gegenseitigem Respekt beruht.

Hier kommt der Generationenvertrag ins Spiel - das Versprechen, die Welt in einem besseren Zustand zu hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben. Diese Verantwortung beschränkt sich nicht auf uns Menschen. Denn wir alle sind Teil eines größeren Netzwerks, das uns mit Tieren, Pflanzen und dem gesamten Ökosystem verbindet.

Ich weiß, dass dieser Wandel nicht über Nacht geschehen wird. Der Hass wird nicht einfach verschwinden, und die Herausforderungen, vor denen wir stehen, werden noch lange nachwirken. Aber wenn wir entschlossen sind, dem Hass entgegenzutreten und unsere Verantwortung für die Zukunft wahrzunehmen, dann schaffen wir eine Grundlage für Hoffnung und Zusammenhalt - und bleiben damit dem Versprechen treu, das wir der Zukunft schuldig sind.

In Liebe, Papa.

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Fortschritt

Mein lieber Sohn,

lass uns ein Gedankenexperiment machen. Stell dir eine Welt vor, in der alle Probleme gelöst sind - keine Armut, kein Hunger, kein Leid. Aus heutiger Sicht scheint das unmöglich, aber wenn du diesen Brief liest, sind wir dieser Welt vielleicht schon ein Stück näher gekommen.

Das Gedankenexperiment ist zeitlos. Seit den geistigen Anfängen unserer Vorfahren stellt sich die Frage, welche Aufgaben uns noch bleiben, wenn wirklich alle Probleme gelöst sind. Wenn es keinen Fortschritt mehr zu erringen gäbe. Ist es nicht das, wonach wir streben - ein Leben, das etwas bewirkt hat, das Sinn macht? Was aber, wenn uns dieser Antrieb genommen wird?

Keine einfache Frage. Aber vielleicht hat Albert Camus eine mögliche Antwort gefunden. Camus schrieb über das Absurde - den Widerspruch zwischen unserer tiefen Sehnsucht nach Bedeutung und der Gleichgültigkeit des Universums. Für ihn war das Leben wie die Aufgabe des Sisyphos aus der griechischen Sage: dazu verdammt, immer wieder denselben Stein den Berg hinaufzurollen, nur um ihn am Gipfel wieder hinunterrollen zu müssen. Doch statt Sisyphos als gescheiterten Menschen zu sehen, zeichnet Camus ihn als jemanden, der in seiner Aufgabe Erfüllung findet - trotz oder gerade wegen ihrer Sinnlosigkeit. „Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“, schreibt Camus.

Vielleicht, mein Sohn, liegt der Schlüssel zu einem sinnerfüllten Leben darin, das zu tun, was du liebst und was du gut kannst, und damit die Welt um dich herum ein wenig besser zu machen. Nicht, weil das Leben dir einen tieferen Sinn schuldet, sondern weil du die Freiheit hast, ihm einen Sinn zu geben. So wie Sisyphos, der seinen Felsbrocken Tag für Tag mit Würde und Kraft den Berg hinaufrollt.

In Liebe, Papa.

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Glück

Mein lieber Sohn,

Heute möchte ich über Glück und Erfolg schreiben, ein Thema, das mich schon lange beschäftigt. Wie oft denken wir, dass Erfolg nur durch harte Arbeit und Talent entsteht. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass dies eine unvollständige Sichtweise ist.

Vor kurzem habe ich mich intensiv mit der Arbeit des Forschers Alessandro Pluchino beschäftigt. Seine Studie über den Einfluss von Glück auf Erfolg hat mich besonders angesprochen. In dieser Arbeit, die Glück und Talent durch die Brille der Komplexitätswissenschaft betrachtet, wird deutlich, wie stark der Zufall unser Leben prägen kann. Pluchino und seine Kollegen zeigen in ihren Simulationen, dass oft nicht die talentiertesten Menschen die erfolgreichsten sind, sondern diejenigen, die zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind.

Das deckt sich mit meiner eigenen Erfahrung. Obwohl mich vermutlich einige Menschen für erfolgreich halten würden, betrachte ich meinen Erfolg eher als Momentaufnahme - als ein Kapitel in einer fortlaufenden Geschichte, die noch lange nicht zu Ende ist. Wenn mich jemand nach meiner Erfolgsformel fragt, antworte ich immer: „Eine große Portion Glück“. Diese Antwort verunsichert die meisten Menschen, weil sie fest an das Konzept der Leistungsgesellschaft glauben, in der harte Arbeit und Talent die einzigen Wege zum Erfolg sind.

Pluchinos Arbeit war für mich eine Offenbarung, weil sie genau das wissenschaftlich untermauert, was ich empfinde: Erfolg ist oft eine Mischung aus Talent und Glück, wobei das Glück eine viel größere Rolle spielt, als wir zugeben wollen. In einer Welt, die auf Leistung fixiert ist, kann es schwierig sein, das anzuerkennen. Wir wollen glauben, dass wir unseren Erfolg vollständig kontrollieren können, aber die Wahrheit ist, dass viele unvorhersehbare Faktoren eine Rolle spielen.

Was bedeutet das für dich? Es bedeutet nicht, dass du aufhören sollst, dich anzustrengen oder deine Talente weiterzuentwickeln - ganz im Gegenteil. Fleiß und Hingabe sind nach wie vor wichtig. Aber es bedeutet auch, dass du erkennen musst, dass Erfolg nicht allein in deinen Händen liegt. Manchmal beschert dir das Leben glückliche Zufälle, manchmal bleibt dir dieses Glück verwehrt. Wichtig ist, dass du dich nicht entmutigen lässt, wenn die Dinge nicht immer nach Plan laufen.

In Liebe, Papa.

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Kompass

Mein lieber Sohn,

vor kurzem erlebte ich eine Unterhaltung, in der jemand gefragt wurde, was sein Vater für ihn bedeute. Die Antwort kam prompt und voller Stolz: Ein Held.

Das war ein Moment, in dem ich nicht nur über die Bedeutung des Wortes nachgedacht habe, sondern auch über meine eigene Antwort. Die traurige Wahrheit ist, dass ich keine Antwort geben könnte, wenn man mich nach meinem eigenen Vater fragen würde. Er war in meinem Leben nicht präsent, und in meinen jungen Jahren habe ich vor allem Scham für ihn empfunden.

Diese Erfahrung hat mich tief geprägt und beeinflusst, wie ich meine Rolle als dein Vater sehe. Mehr als alles andere möchte ich für dich da sein und dir ein anderes Vorbild sein. Mein Ziel ist es nicht, in deinen Augen ein Held zu sein. Ich möchte vielmehr ein Kompass sein, ein Symbol für Orientierung und Beständigkeit.

Ein Held wird oft für außergewöhnliche Taten in außergewöhnlichen Zeiten gefeiert. Ein Kompass hingegen bietet beständige Führung, Tag für Tag, durch die Höhen und Tiefen des Lebens. Das möchte ich auch für dich sein: eine beständige, verlässliche Quelle der Unterstützung und Orientierung, die dir hilft, deinen eigenen Weg zu finden und zu gehen.

Ich erkenne meine Unzulänglichkeiten und die Tatsache an, dass ich nicht immer den richtigen Weg gewählt habe. Meine eigenen Fehler und meine Suche nach dem richtigen Weg sind ein wesentlicher Teil dessen, was ich dir vermitteln möchte. Trotz meiner Fehler hoffe ich, dass ich dir ein verlässlicher Wegweiser sein kann, der dich führt und unterstützt, während du lernst, deinem eigenen, inneren Kompass zu folgen.

Ich wünsche dir die Freiheit, deinen eigenen Weg zu gehen, in dem Wissen, dass du eine klare Richtung hast, an der du dich orientieren kannst, wann immer du sie brauchst. Dein Weg mag nicht immer einfach sein, aber ich bin hier, um dir zu helfen, auf Kurs zu bleiben und die Herausforderungen zu meistern, die vor dir liegen.

Ich hoffe, dass du eines Tages, wenn du darüber nachdenkst, was ich für dich war, sagen kannst: Ein Kompass. Ein Zeichen dafür, dass ich dir geholfen habe, deinen eigenen Weg zu finden und ihn mit dem Mut und der Zuversicht zu gehen, die du für deine Reise brauchst.

In Liebe, Papa.

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Sternenstaub

Mein lieber Sohn,

ich möchte in dieser Woche ein Thema ansprechen, das mich schon sehr lange beschäftigt und das in gewisser Weise unsere menschliche Existenz definiert: die Vergänglichkeit unseres Seins.

Eine Studie der ETH Zürich hat untersucht, wie kosmischer Staub auf die frühe Erde gelangt sein könnte und wie er zu den chemischen Prozessen beigetragen haben könnte, die für die Entstehung des Lebens notwendig waren. Mit Hilfe von Simulationen konnten sie zeigen, dass sich kosmischer Staub in großen Mengen in trockenen und eisigen Umgebungen angesammelt haben könnte, die möglicherweise einen fruchtbaren Boden für präbiotische, chemische Reaktionen boten. Also für die Vorläufer biologischen Lebens.

Ich verstehe mich als Agnostiker. Das bedeutet, dass ich mir der Grenzen unseres menschlichen Verständnisses bewusst bin, insbesondere in der Frage nach der Existenz eines Gottes und der Frage nach dem Danach. Ein Satz, der mich in diesem Zusammenhang besonders zum Nachdenken angeregt hat, stammt paradoxerweise ausgerechnet aus der Bibel: "Staub bist du und zu Staub kehrst du zurück." Diese Worte, die an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens erinnern, sind für mich nicht nur eine Mahnung an unsere Sterblichkeit, sondern auch eine Einladung, das Leben in seiner Fülle und mit all seinen Facetten zu umarmen.

Das mag auf den ersten Blick ernüchternd wirken, doch verbirgt sich darin eine tiefgreifende Botschaft von Freiheit und Demut. Zu erkennen, dass wir alle aus demselben Stoff sind und letztendlich zu diesem zurückkehren, erdet. Es erinnert mich daran, dass unser Dasein, trotz all seiner Komplexität und Schönheit, ein flüchtiger Moment im unendlichen Tanz des Universums ist.

Diese Perspektive lädt uns ein, unser Leben mit Bedeutung zu füllen, die Gegenwart zu schätzen und die Verbindungen, die wir mit anderen Menschen und der Welt um uns herum knüpfen, zu pflegen. Sie mahnt uns, unser Ego beiseite zu legen und uns auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt im Leben: Liebe, Mitgefühl, Freude und Gelassenheit.

In Liebe, Papa.

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Regeln

Mein lieber Sohn,

heute möchte ich mit dir über ein Thema sprechen, das auf den ersten Blick vielleicht trocken erscheinen mag, das aber für unser Zusammenleben und unsere Beziehung zur Natur von grundlegender Bedeutung ist: Regeln. Warum sind Regeln so wichtig für unser Zusammenleben?

Regeln bilden das Fundament unserer Gesellschaft. Sie sind die unsichtbaren Fäden, die das soziale Gefüge zusammenhalten, indem sie Erwartungen klären, Verhalten steuern und Konflikte minimieren. In einer Welt ohne Regeln wäre das Chaos vorprogrammiert, denn individuelle Interessen und Handlungen würden unweigerlich kollidieren. Regeln ermöglichen uns ein harmonisches Zusammenleben, indem sie uns einen Rahmen geben, in dem wir unsere Freiheit ausüben können, ohne die Rechte anderer zu verletzen. Sie sind Ausdruck unserer gemeinsamen Werte und Normen, die das Rückgrat unserer kulturellen Identität bilden.

Wir sind aber nicht nur Teil der menschlichen Gesellschaft, sondern auch Teil der natürlichen Welt, die uns umgibt. Diese Einsicht verleiht den Regeln, die wir schaffen, eine tiefere, fast sakrale Bedeutung. Sie dienen nicht nur dazu, unser Zusammenleben zu ordnen, sondern auch dazu, unsere tiefe Verbundenheit und gegenseitige Abhängigkeit zu würdigen.

Indem wir uns an Regeln halten, erkennen wir an, dass unser Wohlergehen untrennbar mit dem Wohlergehen unserer Mitmenschen und der natürlichen Welt verbunden ist. Diese Anerkennung zeigt uns, dass wir alle aus dem gleichen Ursprung stammen und daher eine grundlegende Einheit bilden. Regeln helfen uns, diese Einheit zu erhalten und zu fördern, indem sie uns anleiten, verantwortungsvoll und respektvoll miteinander und mit unserer Umwelt umzugehen.

Ein Beispiel dafür ist der respektvolle Umgang mit der Natur. Unsere Regeln im Umgang mit den natürlichen Ressourcen, der Umweltverschmutzung und dem Naturschutz spiegeln unseren Willen wider, das Gleichgewicht und die Harmonie der Erde zu bewahren. Sie erinnern uns daran, dass wir zwar einzigartig und individuell sind, aber auch Teil eines größeren Ganzen, dessen Wohlergehen für unser eigenes Überleben entscheidend ist.

So gesehen sind Regeln nicht nur notwendige Instrumente für das Funktionieren der Gesellschaft, sondern auch Ausdruck unserer tiefsten Verbundenheit mit der natürlichen Welt. Sie erinnern uns daran, dass wir zwar einzigartig und individuell sind, aber auch Teil eines größeren Ganzen, dessen Harmonie und Gleichgewicht für das Wohlergehen aller unerlässlich sind.

In Liebe, Papa.

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Angst

Mein lieber Sohn,

Angst ist ein Gefühl, das uns alle irgendwann im Leben überkommt, und in dieser Woche bin ich einer Angst begegnet, die ich noch nie so intensiv erlebt habe: der Angst um dich.

Als wir erfuhren, dass du operiert werden musst, begann für mich eine Zeit der Anspannung und Unruhe. In den Tagen vor deiner Operation konnte ich an nichts anderes mehr denken. Jeder Gedanke kreiste um das, was kommen würde. Ich hatte zwar Vertrauen in die Ärzte und in das Gesundheitssystem aber die Sorge um dich überwog. Am Tag der Operation war die Anspannung unerträglich, der Gedanke, in diesen Momenten der Hilflosigkeit nicht bei dir sein zu können, verstärkte meine eigene Hilflosigkeit. Während der Operation war jede Minute eine Qual, jeder Augenblick eine Ausdehnung ins Unendliche.

Nach einer gefühlten Ewigkeit durfte ich endlich zu dir in den Aufwachraum. Die Erleichterung, als ich dich dort liegen sah, war unbeschreiblich. Dein kleiner Körper, noch schläfrig von der Narkose, aber sicher, nahm mir eine riesige Last von den Schultern. Ich legte meine Hand auf deinen Fuß und wartete mit deinen Kuscheltieren, Tiger und Adler, darauf, dass du die Augen öffnest. Als du wieder zu Bewusstsein kamst und mich etwas verwirrt ansahst, fühlte ich eine Welle der Erleichterung und Dankbarkeit.

Dieses Erlebnis hat mir noch einmal eindrücklich vor Augen geführt, dass die Angst zum Vatersein unweigerlich dazugehört. Sie ist Ausdruck der tiefen Liebe und Verantwortung, die ich für dich empfinde. Die Angst ist zwar immer präsent, aber nicht immer in dieser Intensität. Sie zeigt mir, wie zerbrechlich und vergänglich das Leben eigentlich ist. Gleichzeitig möchte ich betonen, wie wichtig es ist zu verstehen, dass Angst nichts ist, wofür man sich schämen muss. Sie ist ein Zeichen unserer gegenseitigen Liebe und ein Beweis dafür, dass wir jeden Tag dafür kämpfen. Es ist wichtig, die Angst zu akzeptieren und trotz ihrer Gegenwart mutig weiterzugehen.

Ich hoffe, dass du eines Tages verstehen wirst, warum ich immer ein wenig Angst um dich habe. Es ist die Angst eines Vaters, der seinen Sohn über alles liebt und immer nur das Beste für ihn will.

In Liebe, Papa.

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Schwanengesang

Mein lieber Sohn,

als leidenschaftlicher Cineast, der den Film als ein wesentliches Element unserer modernen Kultur betrachtet, habe ich im Laufe der Jahre eine besondere Vorliebe für Werke entwickelt, die nicht nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen. Filme (und Serien) öffnen uns ein Fenster in andere Welten, lassen uns das Leben durch die Augen anderer sehen und lehren uns oft mehr über uns selbst und die Welt um uns herum.

Zuletzt sahen wir Schwanengesang, einen Film aus dem Jahr 2021 mit Mahershala Ali in der Hauptrolle. Das futuristisch anmutende Drama handelt von Abschied, letzter Schönheit und der Bedeutung des letzten Aktes. Die Idee des Schwanengesangs - der Glaube, dass ein Schwan vor seinem Tod ein letztes, wunderschönes Lied singt - ist eine poetische Metapher für den letzten kreativen Ausdruck eines Menschen oder den Abschluss eines Lebenswerkes.

Dieses Thema inspiriert mich insofern, als es mich dazu anregt, über mein letztes wirklich bedeutendes Lebenswerk nachzudenken, das von einem tiefen Sinn für Selbstlosigkeit und Nächstenliebe geprägt ist. Es erinnert mich auch daran, dass unsere wertvollsten Beiträge zum Leben oft die sind, die nicht nach außen sichtbar sind, sondern in denen wir authentisch und uneigennützig handeln, um das Leben eines anderen ein wenig besser zu machen.

Es sind diese Momente uneigennütziger Großzügigkeit, die die menschliche Erfahrung so reich und bereichernd machen. Sie ermöglichen es uns, über unsere eigenen Bedürfnisse und Wünsche hinauszugehen und eine tiefere Verbindung mit der Welt um uns herum herzustellen.

Ich würde mir wünschen, dass du in deinem Leben stets nach Gelegenheiten suchst, Freundlichkeit und Mitgefühl zu zeigen. Es ist nicht notwendig, auf eine letzte Tat zu warten, um etwas Positives zu bewirken. Jeder Augenblick birgt die Chance, etwas zu bewirken.

In Liebe, Papa.

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(Ur)Opa

Mein lieber Sohn,

als wir Anfang 2023 von deinem Uropa, also meinem Opa, Abschied nehmen mussten, waren wir alle tief betroffen. Denn trotz seines hohen Alters kam es doch irgendwie unerwartet.

Dein Urgroßvater war nämlich selbst im 89. Lebensjahr voller Pläne und hatte oft scherzhaft behauptet, er werde mindestens 105 Jahre alt, getrieben von einer unerschöpflichen Lebenslust. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, aber sein Streben und seine Träume bleiben uns als Inspiration erhalten.

Ich habe viel über ihn zu sagen, und da sich vor kurzem sein erster Todestag jährte, halte ich es für angebracht, hier die Trauerrede wiederzugeben, die ich damals zu seinen Ehren gehalten habe:

Es gibt zwei Arten, sein Leben zu leben: entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles ein Wunder.

Mein Großvater würde Letzterem zustimmen und die Art und Weise wie er sein Leben gelebt hat, ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Eine seiner großen Stärken war die Zuversicht. Eine Zuversicht für das Leben, die für Menschen in seiner Nähe ansteckend war. Und im Gegensatz zur Hoffnung, ist die Zuversicht unerschütterlich. 

Als unser Sohn, Samuel, vor etwas mehr als 2 Jahren auf die Welt gekommen ist, haben wir ihm einen Zweitnamen gegeben. Den Namen seines Urgroßvaters, Michael.

… und wenn er mich in ein paar Jahren fragen wird: Papa, warum heiße ich auch Michael? 

Dann werde ich ihm erklären, dass der Name nicht nur eine Erinnerung an seinen Urgroßvater ist, sondern auch eine Anleitung. Eine Anleitung, wie man ein Leben voller Zuversicht führt.

Ich werde ihm erklären, dass das Leben voller Herausforderungen sein kann. Aber dass man sich trotzdem nicht von Negativität beherrschen lassen sollte. Ich werde ihm erklären, dass es möglich ist, jeden Tag mit Freude zu füllen und dass wir, egal welche Herausforderungen uns begegnen, immer etwas tun können, das Beste daraus zu machen. Ich werde ihm erklären, dass das Alter kein Grund ist, zynisch zu werden. Stattdessen werde ich ihn dazu ermutigen, das Leben immer mit den Augen eines Kindes zu betrachten, als wäre alles ein Wunder.

Wenn mein Sohn nach dieser Anleitung lebt, dann bin ich mir sicher, wird er ein gutes Leben führen. Mit der gleichen unerschütterlichen Zuversicht wie sein Namensgeber. Und so wird die Erinnerung an meinen Großvater weiterleben.

Ich hoffe, dass diese Zeilen dir verständlich machen, warum du seinen Namen als Zweitnamen trägst. Es geht aber nicht nur darum, seinen Namen zu tragen, sondern auch darum, sein Erbe an Zuversicht, Lebensfreude und die Fähigkeit, in allem das Wunderbare zu sehen, in dir weiterzutragen.

Mögest du immer den Mut haben, das Leben mit offenen Armen zu empfangen, was immer es für dich bereithält. Und wenn du jemals zweifelst oder dich fragst, warum du den Weg wählst, den du gehst, erinnere dich an deinen Uropa. Lass ihn und seine Geschichten dir Kraft und Orientierung geben.

In Liebe, Papa.

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Lukas Seper Lukas Seper

Frühe Freuden

Mein lieber Sohn,

wenn ich dir beim Spielen zuschaue, wie du dich in deiner Welt der Züge verlierst, erfüllt mich das mit einer einfachen, aber tiefen Freude. Jedes Mal, wenn du die Schienen miteinander verbindest, sie sorgfältig zu komplizierten Mustern ausrichtest und deine bunten Züge auf die Reise schickst, werde ich an die Schönheit und Einfachheit der Kindheit erinnert. Die Zeit, die ich mit dir und deinen Zügen verbringe, ist zu einem der vielen Höhepunkte eines jeden Tages geworden, zu einer Insel des Friedens im Meer der Verantwortung und der Herausforderungen des Lebens.

Wenn ich sehe, wie deine Augen vor Aufregung leuchten, wenn die Züge den Weg nehmen, den du für sie vorgesehen hast, kann ich nicht anders, als über die Vergänglichkeit dieser Momente nachzudenken. Sie erinnern mich daran, dass das Leben wie deine Züge in ständiger Bewegung ist, immer vorwärts geht und nie stehen bleibt. Das ist ein schöner und zugleich bittersüßer Gedanke, denn während ich mich über dein Wachstum und jede neue Entdeckung freue, werde ich auch daran erinnert, wie schnell die Zeit vergeht.

Dich in meinem Leben zu haben, hat mich mehr über die vergängliche Schönheit des Lebens gelehrt als jedes Buch. Bevor du auf die Welt gekommen bist, war die Zeit nur ein Konzept. Jetzt ist sie eine lebendige Realität, gemessen an den Meilensteinen deines Lebens, von deinen ersten Worten über deine ersten Schritte bis hin zu deinem komplizierten Tanz der Züge. Jeder Moment ist eine kostbare Erinnerung, eine Erinnerung an die Vergänglichkeit des Lebens und daran, wie wichtig es ist, den Augenblick zu genießen.

Ich hoffe, dass du dir, wenn du älter bist, die Fähigkeit bewahrt hast, dich an einfachen Dingen zu erfreuen, so wie du es jetzt mit deinen Zügen tust. Nimm es als Metapher für deine Reise durchs Leben: Lege die Gleise sorgfältig, genieße die Fahrt und mach dir nicht zu viele Gedanken über das Wohin. Denn der Weg ist das Ziel.

Vergiss nicht, mein Sohn, dass das Leben vergänglich ist und sich wie deine Züge schnell bewegt. Aber denke auch daran, dass jeder Augenblick der Vergänglichkeit eine Gelegenheit ist, Freude zu finden, eine Erinnerung zu schaffen, in vollen Zügen zu leben. Ich verspreche dir, dass ich so lange es mir vergönnt ist, bei dir sein werde, um jeden Augenblick, jede neue Entdeckung, jede Kurve auf deiner Strecke zu feiern.

In Liebe, Papa.

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Das Jahr 2024

Mein lieber Sohn,

ich beginne gerade erst mit diesem Blog, aber 2024 wird ein entscheidendes Jahr für unsere Welt und letztlich auch für deine Zukunft. Der Grund ist einfach: Es ist das Jahr der Wahlen, überall auf der Welt. In mehr als 60 Ländern, die mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung (über vier Milliarden Menschen) repräsentieren, werden Wahlen stattfinden.

Obwohl einige Wahlen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits stattgefunden haben, wie zum Beispiel in Taiwan, stehen die wichtigsten Wahlen noch bevor, unter anderem in Russland, Indien, der EU und den USA. Während man davon ausgehen kann, dass Putin seine nächste Amtszeit als russischer Präsident antritt und Modi seine Macht in Indien ausbauen wird, sind die Ergebnisse in der EU und den USA mehr als ungewiss. In beiden Regionen sind wir mit Polarisierung, Populismus und Konflikten konfrontiert. Wir leben in den turbulenten 20er Jahren, einer Zeit wachsender Ungleichheit. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass die Gesellschaften auf einfache Lösungen hereinfallen und Populisten an die Macht wählen.

Auch in Österreich sind die Aussichten angesichts des Vorsprungs der rechtspopulistischen FPÖ in den Umfragen düster. Dein Urgroßvater war ein glühender Sozialdemokrat. Mit über 70 Jahren Parteimitgliedschaft war er einer der ältesten SPÖ-Mitglieder. Wenig überraschend hat er mich auch mit seiner Begeisterung für die sozialdemokratischen Ideale und Werte angesteckt. Obwohl ich selbst nie Parteimitglied war, fühle ich mich den philosophischen Grundsätzen verbunden.

Darum glaube ich auch, dass Fortschritt gut ist. Meiner Meinung nach gibt es aber nur dann Fortschritt, wenn eine oder mehrere der folgenden grundlegenden Kosten sinken: die Kosten der Intelligenz, die Kosten der Energie und die Kosten der Zusammenarbeit (ich werde diese Fortschrittsformel in einem späteren Beitrag einmal näher erläutern). Während wir Fortschritte bei allgemeinen Technologien wie der künstlichen Intelligenz (KI) erleben, die das Potenzial haben, die Kosten der Intelligenz zu senken, erleben wir auch Desinformation im großen Stil. Während also die Kosten der Intelligenz sinken, können gleichzeitig die Kosten der Zusammenarbeit steigen. Die Konflikte, die wir heute auf der ganzen Welt erleben, sind möglicherweise die ersten Anzeichen dieser Verschiebung der fundamentalen Kosten des Fortschritts.

Diese Entwicklung könnte zu einer weiteren Erosion unserer politischen Kultur und letztlich zu einer nachhaltigen Aushöhlung unserer freiheitlich-demokratischen Institutionen führen. Dieses Jahr wird zeigen, ob der gesunde Menschenverstand wieder die Oberhand gewinnt. Ich hoffe es für dich und für künftige Generationen.

In Liebe, Papa.

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Ta eis heautón

It took me a while to begin this. I actually planned it for years. But there was never an audience. Now there is: You, my dear son. You were born in the year 2020, during COVID, in times of lockdown. And you have filled our lives with pride and purpose ever since.

Mein lieber Sohn,
es hat eine Weile gedauert, bis ich hier anfangen konnte. Ich habe es bereits jahrelang geplant. Aber es gab nie ein Publikum. Jetzt gibt es eines: Dich, mein lieber Sohn. Du wurdest 2020 während der globalen Pandemie geboren und erfüllst seitdem unser Leben mit Stolz und Sinn.
Aber die Geschichte beginnt natürlich viel früher. Ich habe deine Mutter acht Jahre zuvor kennengelernt und mich auf den ersten Blick in sie verliebt. Nach 2 Jahren sind wir zusammengezogen, aber dann bin ich ins Ausland gegangen und wir haben eine Zeit lang eine Fernbeziehung geführt. Um die Einsamkeit zu überbrücken und unsere Verantwortung für ein anderes Lebewesen zu testen, beschlossen wir, uns einen Hund anzuschaffen: Cash. Ein Chihuahua von der Größe, aber ein Löwe im Herzen. 
Blicken wir in das Jahr 2023, in dem dein Urgroßvater im Alter von 88 Jahren gestorben ist. Wenn du diese Zeilen das erste Mal lesen wirst, habe ich dir sicher schon etliche Geschichten über ihn erzählt. In der Abwesenheit meines Vaters wurde er zur Vaterfigur und zum Vorbild in meinem Leben. Solange ich mich erinnern kann, war er immer für mich da. Normalerweise bereue ich nichts in meinem Leben, und das solltest du auch nicht. Aber obwohl ich viel Zeit mit deinem Urgroßvater verbracht habe, habe ich ihn nicht genug nach seinen Ideen, Ängsten und Hoffnungen gefragt. Deshalb wird mir ein Teil seines Innenlebens immer ein Geheimnis bleiben. Das hinterlässt eine Menge unbeantworteter Fragen darüber, wer er hinter den Rollen war, die er spielte (und die wir alle spielen müssen).
Deshalb mache ich das hier. Um meine innere Welt für dich zu entmystifizieren. Mit Anfang 20 habe ich die Stoiker und ihre Werke für mich entdeckt (daher der Titel). Indem ich darüber schreibe und meine Reise, meine Gedanken und sogar meine Ängste mit dir teile, hoffe ich, dir einen klaren Einblick in meine Seele zu geben. Auf diese Weise möchte ich eine Brücke zwischen den Generationen schlagen, eine greifbare Verbindung zur Vergangenheit und einen Wegweiser für die Zukunft.
In Liebe, Papa.
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